Zurück ins Leben gekämpft: „In meiner Erinnerung ist er mein lieber Papa"


Gut gelaunt sitzt Anna Barra mit Rolf Trapp im TrauerZentrum Oberberg (TZO) in Wiehl. Beide scherzen miteinander, lachen häufig. Fröhlich und selbstbewusst wirkt die 21-Jährige. Und wer ihr begegnet, der glaubt nicht, dass die schwerste Phase ihres Lebens noch gar nicht lange zurückliegt. Im November 2012 ist ihre kleine, heile Welt plötzlich zusammengebrochen. Annas Vater war zu der Zeit in Reha. „Und er ist nicht mehr wiedergekommen", sagt sie nun mit leiserer Stimme. Zunächst war er vermisst worden, und wurde dann in einem Wald tot aufgefunden. Annas Vater hatte sich das Leben genommen.


„Er hatte eine schwere Krankheit, von der wir nichts wussten. Er hat sie vor uns geheim gehalten. Keiner hat geahnt, wie es in ihm ausgesehen hat", erzählt Anna und fügt hinzu: „Er wollte uns schützen." Ihr Papa litt an schweren Depressionen. Das war auch der Grund dafür, dass er sich nicht verabschiedet hat - weder bei Anna, noch bei ihrer Schwester oder ihrer Mutter. „Ohne Worte, ohne Brief... Das hat es noch schlimmer für mich gemacht", sagt die 21-Jährige rückblickend. Und stets kreiste die bohrende Frage nach dem „Warum" in ihrem Kopf. „Mein Leben war plötzlich zerstört. Es war ein Schock, eine ganz schlimme Zeit", schildert Anna.

Zumal sie zu ihrem Vater ein sehr gutes und enges Verhältnis hatte. „Ich war ein Papakind", betont Anna. Umso verzweifelter war sie; ratlos und hilflos. „Man funktioniert nur noch und fühlt gar nichts mehr", sagt sie und schiebt leise hinterher: „Anfangs hatte ich auch verzweifelte Gedanken." In der Schule und bei der Ausbildung konnte sie sich kaum konzentrieren, viele Menschen in ihrem Umfeld hatten Schwierigkeiten, mit ihr und ihrer Situation umzugehen, auch Freundschaften litten. „Das tat oft weh. Ich konnte an nichts anderes mehr denken, fühlte mich ständig beobachtet, sobald ich das Haus verlassen habe - wie im Scheinwerferlicht oder mit einem Stempel auf der Stirn."

Auf der Suche nach Hilfe das TrauerZentrumOberberg in Wiehl entdeckt
Auf der Suche nach Hilfe hatte eine Bekannte ihr den Hinweis gegeben, dass es in Wiehl das TrauerZentrum Oberberg der Malteser gibt. Der Kontakt wurde hergestellt, und Anna saß im Januar 2013 erstmals mit Rolf Trapp zusammen. „Er war mein Strohhalm", sagt die 21-Jährige. Es habe einfach gut getan, mit jemandem zu reden, der einerseits neutral ist, sich andererseits aber mit solchen Situationen auskennt.

.„Natürlich sind am Anfang sehr viele Tränen geflossen. Das ist doch auch ganz normal", erinnert sich Rolf Trapp. Der 68-Jährige ist ausgebildeter Sterbe- und Trauerbegleiter. Ehrenamtlich nimmt er sich Zeit, um anderen Menschen zu helfen. Kosten fallen dabei keine an. Finanziert wird das TrauerZentrum Oberberg der Malteser auch durch die Johannes-Hospiz Oberberg Stiftung sowie die „Freunde und Förderer der Hospizarbeit in Wiehl".

Seit Gründung des TZO übernimmt Rolf Trapp vor allem Trauereinzelberatungen. „Keine Begleitung ist wie die andere", sagt der Wiehler. So hilft er nicht nur Angehörigen nach dem Suizid eines lieben Menschen, sondern auch in vielen anderen schweren Trauersituationen, beispielsweise wenn Eltern ihr Kind viel zu früh verloren haben. „Es handelt sich aber nicht um eine Therapie", stellt Rolf Trapp klar und ergänzt: „Wir begleiten die Menschen, aber wir heilen nicht."

„Doch", widerspricht Anna Barra. „Mein kleines Herz ist ein bisschen geheilt worden." War sie anfangs einmal pro Woche bei Rolf Trapp, sehen die beiden sich mittlerweile jeden Monat. „Ich kann aber auch immer anrufen, wenn ich das Bedürfnis habe", sagt die 21-Jährige. Der Suizid ihres Papas sei auch jetzt noch schwer für sie. „Aber ich kann jetzt viel offener darüber reden. Es hat mich auch stärker gemacht."



"Es war schön zu verfolgen, wie es mit der Zeit immer besser geworden ist"
Von einem Tag auf den anderen musste Anna erwachsen werden. Sich mit ihrer Mutter um das Haus kümmern, ihren Alltag mit Schule und Ausbildung trotz des schrecklichen Erlebnisses meistern. Bei alldem stand ihr Rolf Trapp unterstützend zur Seite. „Mit ihm konnte ich über alles reden, nicht nur über die Trauer, sondern auch über ganz normale Dinge." Und der 68-Jährige konnte beobachten, wie Anna Schritt für Schritt den Weg ins Leben zurückgefunden hat. „Es war eine tolle Entwicklung und ist mit der Zeit immer besser geworden. Das war schön zu verfolgen", sagt Rolf Trapp. Dabei habe er ihr von Beginn an klar gemacht, dass er nicht ihr Ersatzpapa ist. Denn der sei unersetzbar.

Viele schwierige Momente haben sie gemeinsam durchgestanden; viele Tränen sind geflossen, aber auch gelacht und gescherzt haben sie. „Rolf hat mir sehr geholfen", betont Anna Barra. Sie hat ihre Ausbildung inzwischen erfolgreich abgeschlossen, sammelt jetzt für einige Monate Erfahrungen in Australien. Ihr Papa begleitet sie dabei - in ihrem Herzen. „In meiner Erinnerung ist er nicht jemand, der sich das Leben genommen hat", sagt Anna. „Für mich ist er mein lieber Papa, der 18 Jahre lang ein wichtiger und schöner Teil meines Lebens war."

15.05.2016 - Wiehl