Vom Fliegen und Loslassen
Auch wenn es mit dem Fliegen dann schließlich doch nicht geklappt habe: „Den Versuch war es auf jeden Fall wert“, sagt Lydia Timm. Neben dem Bett in ihrem Zimmer im Johannes-Hospiz Oberberg der Johanniter in Wiehl hat die 56-Jährige ein großes Foto aufhängen lassen. Auf der Nachtaufnahme sieht man den Dom und die Hohenzollern-Brücke in Köln unter einem funkelnden Sternenhimmel. Der Kölner Dom steht auch als Gipsmodell mit einer Lichterkette im Inneren auf dem gegenüberliegenden Schrank. „Meine Frau liebt Köln“, erklärt ihr Mann Michael Timm.
Einen Flug über den Dom geplant
Zusammen mit dem Verein „Freunde und Förderer der Hospizarbeit in Wiehl“ hatte er sich daher dafür eingesetzt, dass seine an Krebs erkrankte Frau den Dom und die Stadt einmal von oben sehen sollte. Und während der Förderverein einen Flug mit einem viersitzigen Motorflieger organisierte, stellte ein Freund der Familie kostenlos einen Porsche Panamera für die Anfahrt zum Siegerland-Flughafen in Burbach zur Verfügung.
„Wünsche muss man wenigstens ausprobieren“, sagt Lydia Timm.
Mit dem 480 PS-starken Gefährt des Ingenieurs und Kfz-Sachverständigen Ralf Schmitz vom GTÜ-Stützpunkt in Gummersbach-Rebbelroth fuhren Lydia und Michael Timm daher an einem Samstag zum Flughafen ins Siegerland. Begleitet hatte sie Dr. Jorg Nürmberger vom Förderverein der Hospizarbeit. „Ich fahre gerne in schnellen Autos“, erzählt Lydia Timm, die früher auch schon mal in einem Ferrari unterwegs gewesen ist.
Keine Reanimation gewollt
„Dass ich im Flugzeug plötzlich zusammengebrochen bin, lag wahrscheinlich an der Aufregung, an der Hitze und den Medikamenten“, vermutet Lydia Timm. Denn kurz nach ihrem Einstieg in das kleine Motorflugzeug kollabierte sie – atmete kaum noch und verlor ihren Puls. Dass der Ausflug zum Flughafen ihr letzter sein könne, darüber hatte das Ehepaar aus Gummersbach zuvor gesprochen. „Dann ist das eben so“, legten sie fest.
„Das Abschiednehmen kann man nicht üben“, sagt Michael Timm
Natürlich wisse er, sagt Michael Timm, dass die vor eineinhalb Jahren diagnostizierte Erkrankung ihm in nächster Zeit seine Frau nehmen werde: „Doch als es dann so weit schien, hielt ich das kaum aus.“ Am Flughafen habe er gemerkt, dass er auf das Abschiednehmen nicht vorbereitet ist: „Für mich brach eine Welt zusammen.“ Wenn man jemanden liebe, falle es einfach unsagbar schwer, ihn gehen zu lassen.
Sanitäter, die gerade am Hangar eine Übung durchführten, kümmerten sich um seine Frau, sie riefen den Rettungswagen, den Notarzt und einen Hubschrauber. „Sie will aber keine Reanimation mehr“, diesen Willen seiner Frau legte Michael Timm gegenüber den Rettern dar. Lydia Timm wurde in ein Krankenhaus nach Siegen gebracht. „Es geht zu Ende“, sagte dessen Personal, und die vier erwachsenen Kinder der Eheleute wurden herbeigerufen.
Sicher und geborgen im Hospiz
Doch seine Frau sei eine Kämpferin, sagt Michael Timm. Denn im Siegener Krankenhaus erholte sie sich wieder und konnte zwei Tage später zurück ins Johannes-Hospiz gefahren werden. „Hier wollte ich unbedingt wieder hin“, sagt sie. Denn in dem Haus fühle sie sich seit ihrem Einzug sicher und geborgen: „Es ist einfach richtig familiär hier.“
Die Fahrt nach Siegen bereut sie nicht. „Man bereut doch im Leben immer die Sachen, die man nicht versucht hat“, meint sie. Und nun sei sie dem Sterben eben nochmal davon gesprungen: „Mir wurde Zeit geschenkt, die ich mit meiner Familie nutzen werde.“
Text: Sabine Eisenhauer
22.07.2017 - Wiehl/Burbach