„Das Hospiz hat ihn verändert"


Es ist dieses Foto, das für Heike Fuchs und Elke Dettlaff einen Moment im Johannes-Hospiz Oberberg festhält, der ihnen verdeutlicht, wie sich ihr verstorbener Vater in seinen letzten Lebenswochen gefühlt hat. Aufgenommen worden ist es bei einem Grillabend vor dem Hospiz der Johanniter in Wiehl. Es zeigt Hans-Gerd Schrahe im Rollstuhl vor dem Haus, im Hintergrund leuchten rosafarbene Blüten. Hans-Gerd Schrahe hält eine Flasche Kölsch in der Hand und schaut lächelnd dem Grillmeister zu. „Man sieht sofort, wie glücklich und zufrieden er war", sagt Heike Fuchs.


Als Hans-Gerd Schrahe im vergangenen Jahr in das Hospiz eingezogen ist, war er - wie es Mediziner bezeichnen - „austherapiert": seine Krebserkrankung unheilbar, sein Leben an der letzten Station angekommen. „Er hatte sich das Hospiz als dunkles, stilles Haus vorgestellt, und auch wir als Familie haben einen Aufenthalt in gedämpfter Atmosphäre erwartet", sagt seine Tochter Elke Dettlaff. Doch dann sei alles ganz anders gewesen. Das merkte ihre Schwester Heike Fuchs schnell, als sie bei einem der ersten Besuche ihren Enkel mitbrachte. „Sei schön leise", sagte sie, als der Vierjährige mit einem lauten „Brumm" sein Spielzeugauto durch das Atrium fahren ließ. „Lassen Sie ihn bloß machen! Hier muss keiner ruhig sein, hier wird gelebt", habe ihr daraufhin ein Hospizpfleger erklärt.

Den Tagen mehr Leben geben

„Man sollte nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben", dieser Leitsatz der Hospizbewegung werde in Wiehl wahr gemacht, bekräftigt Elke Dettlaff. „Wir sind sehr, sehr dankbar für die Zeit, die unser Vater hier verbringen durfte, besser hätte er es nicht haben können." Einen „Glücksfall" und „mein Fünf-Sterne-Hotel" habe ihr Vater das Hospiz oft genannt. „Noch bevor ich einen Wünsch äußere, haben die Mitarbeiter ihn mir auch schon erfüllt", hat er seinen Kindern erzählt. Hans-Gerd Schrahe war ohne Schmerzen, über die Einnahme der Medikamente konnte er selbst bestimmen. Der 82-jährige Gummersbacher freute sich über die Auftritte von Chören und Musikern im Haus. Regelmäßig hat ihn seine Familie besucht, gemeinsam feierten sie Geburtstage mit Fondue und Pizza-Service.

Die schweren Momente

Und dann gab es auch die schweren Momente im Hospiz. Hans-Gerd Schrahe wohnte über einen langen Zeitraum im Haus und erlebte das Sterben von fast 80 Mitbewohnern. „Das hat ihn eine Zeitlang in ein Tief versetzt", sagt seine Tochter Heike Fuchs. Denn viele der verstorbenen Menschen hätten ihm nahegestanden, mit ihnen habe er ein Stück des Lebens geteilt und tiefgehende Gespräche geführt. „Auch für uns war es nicht einfach, so verdichtet an den Lebensgeschichten teilzuhaben." Wenn die Last des Erlebten zu groß wurde, hat die Familie im Hospiz unter den Mitarbeitenden der Johanniter und Malteser immer einen Ansprechpartner gefunden. Hans-Gerd Schrahe erlebte dann ebenso mit, dass Menschen im Hospiz ruhig und ohne Schmerzen und Qualen sterben. Wie zum Beispiel der Hospizbewohner, mit dem er zwei Stunden vor dessen Tod noch ein schönes Gespräch geführt hatte. „Unser Vater hat sich hier verändert", erzählt Heike Fuchs. In seinen letzten Lebensmonaten habe er gelernt, sich zu öffnen, auf andere zuzugehen und auch mal schwach sein zu dürfen. „Er war sein Leben lang ein Geber, am Ende konnte er dann auch mal Hilfe annehmen."

Letzte Tage mit Kaffeetafel und Fußballspiel

An einem frühen Morgen im Juni ist Hans-Gerd Schrahe in seinem Bett gestorben. „Für uns kam sein Tod tatsächlich völlig unvermittelt", sagt Heike Fuchs. Mit ihrer Familie hatte sie sich auf einen längeren Sterbeprozess vorbereitet, bei dem ihr Vater unter anderem das Essen und Trinken einstellt. Seine beiden letzten Lebenstage verbrachte er jedoch vollkommen anders: Sonntags saß er mit vielen Gästen und Hospizbewohnern bei einer Bergischen Kaffeetafel mit Waffeln, Milchreis und Vollkornbrot an einem langen Tisch im Atrium des Hauses. Einen Tag später fanden sich abends die Hospizbewohner vor dem Fernseher ein, und mit einer Deutschland-Fahne am Rollstuhl schaute sich Hans-Gerd Schrahe ein Spiel der Fußball-Europameisterschaft an. „Am Dienstagmorgen ist er dann auf seine Reise gegangen", sagt Heike Fuchs.

Abschied nehmen

Nach seinem Tod hat die Familie in seinem Zimmer von ihm Abschied genommen. „Es war seine sterbliche Hülle, die wir sahen, und damit blieb sein Tod für uns nicht mehr unfassbar", erklärt Heike Fuchs. „Ich hatte ein erfülltes Leben und bin bereit zu gehen", habe ihr Vater stets gesagt. Und auch sein Sterben sei schließlich so gewesen, wie er sich das vorgestellt habe: „Er wünschte sich, an seinem Lebensende friedlich einzuschlafen."


Heike Fuchs (links) und Elke Dettlaff (Mitte) mit Hospizpflegerin Bettina Hüttig-Reusch und den Seiten für ihren Vater im Erinnerungsbuch des Hospizes