Die Malteser-Trauergruppe für Kinder und Jugendliche

Das Einschlagen auf den weichen roten Sack tut richtig gut. Es baut nicht nur Aggressionen ab, sondern macht mit dem lauten Lachen der vier Kinder über die Verrenkungen der anderen die Atmosphäre in dem freundlich gestalteten Raum der Malteser in Engelskirchen plötzlich leicht – hier dürfen auch vermeintlich destruktive Gefühle der Trauer an die Luft, sie dürfen raus, denn so werden sie aushaltbar, sind für den Moment erträglich und belasten die Seele nicht mehr.

Tom darf als Erster auf den großen Sack einprügeln. Noch vor ein paar Minuten hat der Neunjährige von seiner Wut erzählt. Davon, dass er manchmal durch kleinste Anlässe zornig wird, nicht weiß, wo er mit diesem Gefühl hin soll und dann mit seiner Schwester Marie in Streit gerät.

Hilflos und verzweifelt

Marie nickt. Auch sie kennt das Gefühl des hilflosen, verzweifelten wütend Seins. Im vergangenen Mai ist ihr Vater gestorben. Vollkommen unerwartet wurde der 50-Jährige aus der Mitte seiner Familie gerissen. So unerwartet, dass die 14-Jährige, ihr Bruder und ihre Mutter nicht nur mit ihrer Trauer und dem Schock fertig werden mussten, sondern auch die Fragen der Polizei durchzustehen hatten.

Eine so nie dagewesene Lebenssituation forderte die drei in ihrer Trauer, brachte sie an den Rand ihrer Kräfte. Dann wurde der Mutter von Bekannten die Kinder-Trauergruppe der Malteser in Engelskirchen empfohlen.


Die Kinder-Trauergruppe des Trauerzentrums Oberberg der Malteser mit Sitz in Wiehl lädt Kinder im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren ein, die einen nahestehenden Menschen durch den Tod verloren haben. Die Gruppe trifft sich in Engelskirchen, geleitet wird sie von Kinder-Trauerbegleiterin Anette Potthof. Gemeinsam mit Martin Saes, Hospizhelfer und Trauerbegleiter sowie Trauerbegleiter Wolfgang Werner werden die Treffen gestaltet, die derzeit von sechs Kindern besucht werden.

Verständnisvoll und mit Respekt

In der Gruppe wird geredet, geweint, gelacht, gebastelt, zugehört, oft verständnisvoll genickt und auch zusammen gegessen. Hier ist Raum für Gefühle, für den Respekt vor der Trauer des anderen und für Möglichkeiten, den Tod als Teil des Lebens zu begreifen.

Marie und ihr Bruder Tom besuchen seit Juli 2019 die Gruppe, die sich einmal im Monat am späten Freitagnachmittag trifft. Ihre Mutter erinnert sich, dass die beiden zunächst zurückhaltend auf den Vorschlag eines Gruppenbesuchs reagierten. „Es war neu und unbekannt. Doch dann kamen sie von dem ersten Treffen zurück und waren wie verwandelt. Das war ein beeindruckendes Erlebnis“, sagt die Engelskirchenerin.

Wissen, worüber die anderen reden

Marie sagt, rückblickend auf das erste Treffen: „Ich habe Antworten auf Fragen bekommen, fühlte mich verstanden. Die anderen Kinder in der Gruppe wussten, wovon ich sprach und hatten auch dann Verständnis, wenn mein Bruder und ich uns einfach mal abreagieren mussten.“

Frederik hat innerhalb weniger Monate drei Großeltern, allesamt enge Bezugspersonen, verloren und stellte fest, dass nicht jede Beileidsbekundung von Herzen kam. „Ich habe es gespürt, wenn derjenige, mit dem ich sprach, gar nicht kapierte, wie es mir ging. Dann klang ein Beileid auch schon mal wie ein ,so schlimm ist es doch nicht, stell dich nicht an‘, was ich schrecklich fand.“

In der Gruppe fühlt der 13-Jährige sich aufgehoben, denn auch in der Schule wurde sein Verlust wenig thematisiert. „Hier sind alle freundlich, es ist ein gutes Beisammensein, das mir Kraft gibt.“ Als die Trauer noch ganz frisch war, habe er oft einen Freund besucht, sagt Frederik – nur um das Nachbarhaus nicht sehen zu müssen, in dem sein Opa lebte, bevor er im Dezember letzten Jahres im Wiehler Johannes-Hospiz verstarb.

Erleichtert und offen

Die anderen Kinder verstehen ihn, wenn er von solchen Strategien berichtet, die halfen, den Schmerz nicht zu groß werden zu lassen: „Vieles ist gegenüber Erwachsenen schwierig in Worte zu fassen, doch in der Gruppe ist das oft gar nicht nötig. Kinder verstehen sich irgendwie besser“, hat er im Laufe der letzten Monate festgestellt. Als seine Mutter ihm vorschlug, die Kinder-Trauergruppe zu besuchen, war das zwar ein schwerer Schritt für ihn, aber auch ein guter: „Ich empfinde das wirklich als Erleichterung, hier zu sein.“

Die erlebten Verluste verbinden die Gruppe und daher sind sich alle einig: „Würden wir uns alle von früher kennen, fänden wir es schwieriger.“ Aber ohne „Freundschaftsballast“ sei es leicht, sich zu öffnen, haben sie für sich entdeckt.

Gefühlte Monster und eine leuchtende Erinnerung

Manchmal helfen auch die Karten mit den Emotionsmonstern, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Anhand dieser Karten loten die Kinder bei den Treffen ihre jeweilige Gefühlslage aus, mit dem sprechenden Sockenmonster auf der Hand können sie anschließend über die Dinge in der dritten Person sprechen, die sonst vielleicht schwer auszudrücken wären. Die von der Gruppe selbst gestaltete Kerze, platziert mitten in den wütenden, lachenden, weinenden, fröhlichen, und traurigen bunten Monstern erinnert an die Menschen, die fehlen.


Darin, dass es hilfreich sei, sich innerhalb der Gruppe zunächst nicht zu kennen, stimmen auch die anderen Kinder zu: Es ist einfacher, sich Menschen zu öffnen, die sich noch kein Bild ihres Gegenübers gemacht haben, die aber eine bestimmte Sache, eben der Verlust eines nahestehenden Menschen, verbindet. Die direkte und ehrliche Kommunikation, der respektvolle Umgang miteinander, die Tipps der Gruppenleiter, aber auch das Lachen helfen so, das Thema Trauer und Verlust nicht zum Monster, sondern zu einem zwar schwierigen, aber doch zu bewältigenden Teil des Lebens werden zu lassen.

In der Gruppe sind weitere Kinder jederzeit herzlich willkommen. Die Kontaktaufnahme erfolgt direkt über das Trauerzentrum Oberberg der Malteser unter Tel. 02262 7075550. Das Angebot ist für Teilnehmende kostenlos und wird wie die Qualifizierung und Supervision der Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter ausschließlich über Spenden an die „Freunde und Förderer der Hospizarbeit in Wiehl e.V.“ geleistet.

Text und Fotos: Katja Pohl

18.12.2019 - Engelskirchen